Wie werden die Auswirkungen einer Steuerreform berechnet?
Der Steuerrechner auf dieser Seite berechnet drei verschiedene Dinge:
- Wie viel Sie von einer Vermögenssteuerreform profitieren würden bzw. wie viel Sie eine solche Reform kosten würde, je nachdem, wie hoch Freibeträge und Steuersätze angesetzt werden,
- wie viel mehr oder weniger andere Leute mit unterschiedlichem Vermögen zahlen müssten,
- und wie viel Steuereinnahmen für den Staat dadurch entstehen würden.
Um zu erklären wie dieser Rechner funktioniert, sehen wir uns zuerst an, wie ÖkonomInnen über Auswirkungen von Steuerreformen denken und wie „optimale“ Steuersätze aussehen.
Wenn eine Regierung einen bestimmten Steuersatz verändert, kann das mehrere Dinge zur Folge haben:
- Klarerweise muss jede/r dadurch entweder mehr oder weniger Steuern auf das Vermögen, das sie/er vor der Reform hatte, zahlen. Je nachdem hat der Staat dadurch mehr oder weniger Steuereinnahmen („Mechanische Effekte“).
- Leute können auf die neuen Steuern reagieren, z.B. dadurch, dass sie jetzt mehr oder weniger sparen als vorher. Mit „sparen“ ist gemeint, dass sie das Geld nicht für Konsum ausgeben, sondern es veranlagen. Das kann in Form von Sparbüchern, Eigentumswohnungen, Aktien, Stiftungen, etc. geschehen. Menschen können auch auf die neuen Steuern reagieren, indem sie jetzt mehr oder weniger Steuern hinterziehen als vorher. Diese Änderungen des individuellen Verhaltens können sich auswirken auf: (a) Steuereinnahmen für den Staat, (b) diejenigen, die ihr Verhalten ändern und (c) andere Menschen („Verhaltenseffekte“).
- Wenn sich das Verhalten der Menschen ändert, kann das zu veränderten Marktpreisen oder Zinssätzen führen, die wiederum verschiedene Personen besser oder schlechter stellen können („Preiseffekte“).
Wie berücksichtigt der Steuerrechner diese drei Effekte?
1. Mechanische EffekteDas ist der einfachste und gleichzeitig wichtigste Teil unserer Berechnungen. Um mechanische Effekte zu berechnen, verwenden wir Informationen über die Vermögensverteilung, die durch den Eurosystem Household Finance and Consumption Survey (HFCS) zur Verfügung stehen.
2. Verhaltenseffekte:a) ... auf Staatseinnahmen:
Wenn Leute nach einer Erhöhung der Vermögenssteuern weniger sparen oder öfter/mehr Steuern hinterziehen, bedeutet das, dass der Staat weniger Steuereinnahmen hat, als mechanische Berechnungen ergeben (da weniger Vermögen deklariert wird, das besteuert werden kann). Wie groß dieser Verhaltenseffekt auf Staatseinnahmen ist, ist eine schwierige empirische Frage. Die meisten Studien dazu haben nur einen schwachen bis gar keinen Effekt von Erträgen (z.B. Nettozinsen, Mieten aus Eigentumswohnungen, Kursgewinne bei Aktien, etc.) auf das (Spar-)Verhalten festgestellt. Von größerer Relevanz scheint der Effekt auf Steuerhinterziehung.1
Wir nehmen in unseren Berechnungen an, dass (durch Steuerhinterziehung) die Mehreinnahmen für den Staat etwa um 15% geringer sind, als eine mechanische Berechnung ergeben würde. Wenn Steuerhinterziehung konsequent geahndet wird, kann der Verhaltenseffekt auch um einiges geringer sein.
b)... auf die, die ihr Verhalten ändern:
Wenn Menschen nach einer Erhöhung der Vermögenssteuern weniger sparen oder mehr Steuern hinterziehen, bedeutet das, dass sie in Wirklichkeit besser gestellt sind, als eine mechanische Berechnung dessen, was sie zahlen müssten, ergibt. Schließlich hätten sie einfach genau das Gleiche tun können, was sie schon vor der Steuerreform getan haben (gleich viel sparen/keine Steuern hinterziehen), aber sie haben sich anders entschieden. Wird dieses Argument theoretisch weitergedacht, lässt sich folgendes zeigen: Bei der Berechnung der Auswirkungen einer Reform auf Einzelpersonen können diese Verhaltensänderungen ignoriert werden.
c)... auf andere Menschen:
In einem Markt mit Wettbewerb und Eigentumsrechten – wie die europäischen oder US-amerikanischen Kapitalmärkte – erhalten jene, die Kapital (Spareinlagen, Immobilien, Aktien, ...) besitzen, generell die vollen Kapitalerträge. Entgegen Behauptungen, die oft in öffentlichen Debatten getätigt werden, profitiert niemand sonst davon, dass sie weiterhin (im gleichen Umfang) am Kapitalmarkt teilnehmen. Das heißt, wenn KapitalbesitzerInnen ihr (Spar-)Verhalten ändern, wirkt sich das auf sonst niemanden aus.
Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Argument sind Steuern, die sich auf Verhaltensweisen auswirken, die einen direkten Effekt auf andere („Externalitäten“) haben. Ein Beispiel sind CO2-Steuern, die zu einer Reduktion der Umweltverschmutzung führen können.
Theoretisch kann sich eine Änderung der Vermögenssteuern auf Kapital (Immobilien, Spareinlagen, Aktien, ...) so auswirken, dass sich das in der Gesamtwirtschaft zur Verfügung stehende Kapital und dadurch der Realzinssatz auch verändern. In der Praxis sind diese Auswirkungen aber sehr gering. Dafür gibt es zwei Gründe: (i) Kapital kann weltweit bewegt werden. Daher haben Veränderungen der Spareinlagen in einem Land einen vernachlässigbaren Effekt auf das Kapital, das in diesem Land zur Verfügung steht. (ii) Der Effekt von Zinssätzen auf das Sparverhalten ist empirisch sehr klein.
Wir folgen daher dem Standard in der wissenschaftlichen Literatur und nehmen in den Berechnungen an, dass es keine Preiseffekte gibt.
Basierend auf diesen Annahmen zu den drei Effekten können wir berechnen, wie sich die Steuerreform auf eine bestimmte Person (oder einen bestimmten Haushalt) auswirken würde. Um einen „gesamtwirtschaftlichen“ Effekt berechnen zu können, müssen wir die einzelnen Effekte irgendwie aufsummieren. Ein zusätzlicher Euro für eine arme Person ist aber nicht dasselbe wie ein zusätzlicher Euro für eine reiche Person. Es hat keinen Sinn zu sagen, jemandem 100 Euro zu geben, die/der 1.000 Euro im Monat verdient, ist dasselbe wie jemandem 100 Euro zu geben, die/der 10.000 Euro im Monat verdient. Wenn wir also die Summe der Effekte ausrechnen, müssen wir uns entscheiden, wie viel „Gewicht“ wir armen im Gegensatz zu reichen Leuten geben. Wie diese Gewichtungen aussehen, ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Darüber können ÖkonomInnen nicht mehr sagen als andere. Letztlich geht es hier darum, „sich auf eine Seite zu stellen“: Wer sollte eher zusätzliches Einkommen bekommen?
Aufbauend auf solchen Überlegungen diskutieren ÖkonomInnen über den „Wohlfahrtseffekt“ einer Änderung des Steuersatzes. Der Effekt wird berechnet, indem die gewichteten Effekte auf alle Mitglieder einer Volkswirtschaft zusammengezählt werden. ÖkonomInnen bezeichnen einen Steuersatz dann als „optimal“, wenn man ihn nicht so verändern könnte, dass die insgesamte „soziale Wohlfahrt“ steigen würde.
Auf dieser Seite können Sie ausprobieren, wie viel verschiedene Leute durch Steuerreformen, die Sie vorschlagen, gewinnen oder verlieren. Wie Sie diese Gewinne und Verluste bewerten, müssen Sie selbst entscheiden.
Weiterführende Literatur:
Saez, E. (2001). Using elasticities to derive optimal income tax rates. Review of Economic Studies, 68(1): 205–229
Chetty, R. (2009). Sufficient statistics for welfare analysis: A bridge between structural and reduced-form methods. Annual Review of Economics, 1(1): 451–488.
Mirrlees, J. et al. (2010, Hg.). Dimensions of tax design: the Mirrlees review. Oxford University Press.